Wie viele Schulden darf ein Staat machen?

7. September 2017

Eine nur scheinbar richtige, politische Antwort auf diese Frage hatte Bundeskanzlerin
Angela Merkel auf dem CDU-Parteitag 2008 in Stuttgart gegeben, in dem sie das Bild
der sparsamen schwäbische Hausfrau als Vorbild für das staatliches Wirtschaften
der Regierung so malte: „Man hätte hier in Stuttgart, in Baden-Württemberg einfach
nur eine schwäbische Hausfrau fragen sollen. Sie hätte uns eine ebenso kurze wie
richtige Lebensweisheit gesagt, die da lautet: ´Man kann nicht auf Dauer über seine
Verhältnisse leben´.

Dieses Bild von der privaten Haushaltsführung in einer Familie ist genauso eingängig
wie falsch. Frau Merkels Lebensweisheit hat aber trotzdem eine enorme politische
Wirkungsweise entfaltet. Ihre scheinbare Wahrheit ist bis heute noch das
volkstümlichste und wirkungsvollste Argument für jegliche staatliche Sparpolitik: Auf
Bund- und Länderebene wird es zur Begründung von rigiden
Haushaltssparmaßnahmen genauso erfolgreich eingesetzt wie in den Kreis- und
Gemeindeparlamenten.
Der dadurch bis heute für große Teile der Bevölkerung angerichtete Schaden ist
immens. Wir können es am Zustand vieler Straßen sehen.

Von der Sachebene her betrachtet (und auch von den politischen Notwendigkeiten
her) wird mit dem Bild bewusst eine Falschmeldung in die Welt gesetzt. Politisch
gesehen war das aber ein genialer Schachzug.
Das „Schwäbische Hausfrauen-Argument“ wirkt bis heute noch und wird dadurch
verfestigt, dass nach einer Umfrage des Magazins Stern von Anfang August 2011 die
Staatsverschuldung die größte Sorge der Deutschen war.

Das Märchen von der schwäbischen Hausfrau
Man kann den Haushalt einer Familie nicht mit einem Staatshaushalt in Bund, Land,
Kreis oder Gemeinde vergleichen.
Ein wesentlicher Unterschied zwischen Staats- und Familienhaushalt besteht
darin, dass beim Staat neue Einnahmen durch einsteigendes Steueraufkommen
entstehen, wenn er seine Schuldensumme erhöht, um über Kredite Investitionen zu
finanzieren. Die Staatseinnahmen steigen durch diese Investitionsausgaben des
Staates mittel und langfristig.

Bei einer Familie entstehen durch die Aufnahme von Schulden für zusätzliche
Ausgaben bzw. Käufe keine neuen Einnahmen. Die monatlichen Löhne und Gehälter
werden dadurch nicht verändert. Es steht auch mittelfristig weniger Geld für die
Familie zur Verfügung. Was einmal ausgegeben wurde, das ist weg.
Wenn ein privater Haushalt z. B. eine Waschmaschine kauft und dafür einen
Konsumentenkredit aufnimmt, dann muss er diese Waschmaschine am Ende teurer
bezahlen als wenn er sie von seinen laufenden Einnahmen oder von angespartem
Geld bezahlt. Der „Preis“ für den vorgezogenen Konsum und natürlich die Freude an

dem gekauften Produkt sind die bis zur vollständigen Rückzahlung des Kredites zu
zahlenden Zinsen.

Der Haushalt spart im Falle einer Kreditzahlung nicht erst die benötigte Geldsumme
an, sondern „zieht das Sparen“, um den Preis der Zinsbelastung vor.
Bei der Aufnahme von Schulden sind die Zielrichtungen von Staat und Familie
deshalb unterschiedlich. Auch lassen sich Staatschulden und Schulden einer Familie
nicht miteinander vergleichen.
Die Familie konsumiert zum eigenen Nutzen und Vorteil. Der Staat nimmt Schulden
auf, um die Grundversorgung seine Bürger sicherzustellen. Er investiert in Straßen,
Schulen, Universitäten, Militär oder Telekommunikationsinfrastruktur. Er verbessert
damit die Lebensbedingungen seiner Bürger genauso wie die Standortbedingungen
von Unternehmen.
In Krisenzeiten hat der Staat die Aufgabe, über durch Schulden finanzierte
Investitionen (das sog. Defizit Spending) das Wirtschaftswachstum zu anzukurbeln.
Die Förderung von Wirtschaftswachstum ist eines der Ziele, die im „Gesetz zur
Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft“ (StabG) vom 8. Juni
1967 festgeschrieben sind. Diese Ziele sind jeder Bundesregierung vorgegeben
und bei ihren wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen zu beachten.
Ein Denkansatz ist bei der Ausgestaltung der Wirtschaftspolitik eines Staates auch,
dass in Zeiten einer Wirtschaftskrise durch über Schulden finanzierte
Staatsausgaben eine Stärkung der gesellschaftlichen Nachfrage erfolgt, so dass eine
Wirtschaftskrise schneller überwunden werden kann.

Schlussfolgerung:
Da lohnt es sich schon, darüber nachzudenken,
warum man uns glauben machen will, dass es keinen Unterschied gibt zwischen
den Staatsschulden und den Schulden einer Familie.
Und es lohnt sich schon, darüber nachzudenken,
wer einen sichtbaren, wirklichen und direkt zu realisierenden Vorteil von diesen
neuen Spielregeln für den Umgang mit Schulden und den sich daraus ergebenen
betriebswirtschaftlich logischen Schlussfolgerungen hat.

Wenn man den ihnen zugrunde liegenden Annahmen der aktuell dominierenden
Wirtschaftstheorie erst einmal zugestimmt hat, dann ist man in deren Korsett
gefangen. Es ist wie bei einem Spiel, bei einem Wettkampf: Wer die Spielregeln
bestimmt, der hat den Vorteil eindeutig auf seiner Seite. Wer ein Gutachten bezahlt,
der kennt bereits das Ergebnis.

Und es lohnt sich auch, darüber nachzudenken,
welche Auswirkungen dieses Denken für die Grundversorgung unserer
Gesellschaft, die der Staat zu leisten hat, hat, bei: der Wasserversorgung,
Energieversorgung, beim Straßenbau und der Mobilität, bei Bildung, Renten, Steuern
und Abgaben, usw.

Manfred. Küter
07.09.2017